Darmstadt Aktuell
„Music in the expanded field": Drei Konzerte im Rahmen der Darmstädter Ferienkurse 2016
Das Komponieren und der Begriff dessen, was Musik ist, haben sich seit den Anfängen (ab 1946) der Ferienkurse des Internationalen Musikinstituts Darmstadt (IMD) auf Schloss Kranichstein stark gewandelt. Heute arbeiten viele Komponisten zum Teil jenseits der traditionellen Grenzen von Musik, sie integrieren visuelle Medien und bedienen sich theatraler Praktiken.
Der französische Komponist und bildende Künstler Francois Sarhan erforscht seit vielen Jahren musikalische Formen und Formate, die Konzerte, Installation und Musiktheater zusammenführen. Mit „COMMODITY MUSIC" präsentieren Sarhan und das belgische E-Gitarren-Quartett „Zwerm" am 31.
Juli auf der Darmstädter Mathildenhöhe ein Haus voller Musik und beleuchten darin die Bedeutung von Arbeitsteilung und Spezialisierung im Bereich der Musik.
In „THE FORCE OF THINGS" der amerikanischen Komponistin und Kranichsteiner Preisträgerin 2014, Ashley Fure, sitzt das Publikum unter einem dichten Baldachin aus hängenden Gegenständen, die sich im Laufe des Stücks durch kinetische, klangliche und Beleuchtungseffekte verwandeln. Das 50-minütige Werk positioniert sich auf der Erfahrungsschwelle zwischen immersiver Installation und Live-Darbietung und untersucht musikalisch-dramatische Ereignisse, deren Mittelpunkte nicht Menschen, sondern Gegenstände sind. Das „New Yorker International Contemporary Ensemble" zeichnet für die Uraufführung dieses herausragenden neuen Stücks von Ashley Fure am 1.
August in der Centralstation in Darmstadt verantwortlich.
In dem neuen hochenergetischen Stück „THE LICHTENBERG FIGURES" für Stimme, elf Instrumente und Elektronik reißt die österreichische Komponisten Eva Reiter einen musikalischen Raum auf, der in sehr eigenwilliger Weise und in bisweilen bizarrer Verdichtung von akustischen und elektronischen, von verzerrten und verfremdeten, von bearbeiteten und naturbelassenen Klängen bevölkert wird. In ihrem Zyklus von sieben Songs, sechs Interludien und einem Prolog, der am 3. August im Frankfurt Lab mit dem belgischen Ensemble „Ictus" Premiere feiert, geht es der Komponistin um ein musikalisch-klangliches „Gesellschaftspsychogramm“.
Die kanadische Komponistin Annesley Black entwirft in ihrem neuen Stück „TOLERANCE STACKS" eine Art Reenactment der frühen elektronischen Musikproduktion in Darmstadt. Fünf mit Instrumenten bewaffnete Musiker (mit und ohne elektronische Verstärkung) werden in eine von dem
Medienkünstler Lutz Garmsen und dem Programmierer David Runge entwickelte Umgebung gestellt, wo ihre Handlungen klangliche und optische Echos der Vergangenheit erzeugen. Ein enges Geflecht aus Bezügen zu veralteter Technologie, oder zu Geräten, die aufgrund ihrer Nichterfüllung aktueller Standards als defekt bezeichnet würden entsteht. Dafür sind am 11. und 12. August in der Centralstation auch alte Bandmaschinen im Einsatz, die den Bogen zu den Anfängen der Ferienkurse spannen, als der Darmstädter Komponist Hermann Heiß in den 50er Jahren das Studio für elektronische Komposition am Kranichsteiner Musikinstitut installierte.
Ergänzend zu der künstlerischen Auseinandersetzung mit der Ferienkurs-Geschichte reflektiert die Konzertreihe „Rückspiegel" die sieben Jahrzehnte Darmstädter Ferienkurse aus wissenschaftlicher Perspektive. Stellvertretend für jedes Jahrzehnt mitgestalteter Musikgeschichte wird ein Werk von Luigi Nono, John Cage, Helmut Lachenmann, Wolfgang Rihm, Brian Ferneyhough, Isabel Mundry und Stefan Prins exemplarisch betrachtet. Am Beginn jeder der sieben Konzert-Lectures steht eine vollständige Aufführung des Stücks, jeweils gefolgt von einem erläuterndem Kommentar von Ulrich Mosch zum historischen Kontext, zur Kompositionstechnik und zur Ästhetik sowie einer abschließenden Wiederholung der gesamten Komposition.