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Unterm Strich

(Vro) – Donnerstag, 12.05.2011

Die Kunsthalle Darmstadt widmet Eberhard Schlotter zum 90. Geburtstag die Ausstellung "unterm Strich". Zu sehen sind mehr als 80 Gemälde, Aquarelle und Druckgraphiken aus sechs Jahrzehnten. Eberhard Schlotter verbrachte wichtige Jahre seines Schaffens in Darmstadt, war auch Vorsitzender der Darmstädter Sezession.

Metzger und Frau Abendgesellschaft

Der Metzger und seine Frau, Öl auf Leinwand, 1986-87. Foto-Ausschnitt(für größere Ansicht anklicken): Kunsthalle Darmstadt

"Unterm Strich" konzentriert sich auf drei zentrale Motivstränge in Schlotters Werk, teilt die Kunsthalle Darmstadt mit. Gezeigt werden: Architektonische Capricci, die die Welt als leere Kulisse vorführen, die satirische, gesellschaftskritische "Metzger"-Serie und radierte Zyklen zu Erzählungen des bekannten Schriftstellers Arno Schmidt, mit dem Schlotter eng befreundet war.  

In seinen Architekturlandschaften reduziert Schlotter die Welt auf abstrahierte Flächen. Er baut Architekturelemente wie geschlossene Türen, Mauern, Fassaden oder Straßenzüge als 'Sichtbarrieren' auf, verweigert den Einblick und jegliche dramatische Handlung. So kon­frontiert Schlotter den Betrachter mit bildnerischem Verschweigen, das eine Suche nach Inhalten erzwingt.

"Haus" wird seit jeher unter anderem als Chiffre des "Ich" verstanden. Überträgt man diese Bedeutung auf Schlotters flächige Baukasten-Architektur, so symbolisieren die Bilder das Schweigen zwischen den Menschen, unüberwindbare Barrieren bei der Verständigung und die Grenze menschlicher Erkenntnis.

Die Architektur wird zur labilen Kulisse ohne Hintergrund, ohne 'Kern', heißt es in dem Schreiben weiter. Einen Schlüssel zum Verständnis dieser Bildwelten liefert ein Text des berühmten Schriftstellers Arno Schmidt anläßlich einer Schlotter-Ausstellung im Jahre 1957. Hier erscheinen die fragilen Gebäude Schlotters als Abbild einer zutiefst brüchigen, bodenlosen Gesellschaft ohne ver­läßliches Fundament. Die Architektur wird hierbei ein Zeichen für innere Leere und für die Unein­heitlichkeit des Menschen, der nur ein lockerer Verbund unzusammenhängender Elemente ist. Bei Schmidt heißt es: "Die Kulisse ist unser Schicksal. Wir tendieren zur Plakatwelt. Bestehen selbst aus mehreren, übereinandermontierten Schichten… da geschieht uns nur recht, daß Schlotter Ernst damit macht."

Die flächigen Konstrukte aus einzelnen farblich differenzierten Tableaus bedeuten bei Schlotter auch eine Auseinandersetzung mit der abstrakten Kunst. Die Diskussion um ungegenständliche und gegenständliche Kunst gehörte in Deutschland ab den späten 1940er Jahren zu den bekanntesten kunsttheoretischen Disputen überhaupt. Es entwickelte sich eine Debatte, die gerade im Rahmen der berühmten "Darmstädter Gespräche" mit abstruser Hef­tigkeit geführt wurde. In dieser hochgekochten Polemik des "entweder oder" wählte Schlotter einen dritten Weg und entwickelte in den 1950er Jahre eine gegenständliche Kunst, die mit 'freien' Farbflächen und flachen Kompositionen auf Muster der ungegen­ständlichen Kunst zurückgriff.

Umgekehrt formuliert Schlotter mit Mitteln der abstrakten Kunst ganz konkret Kom­mentare zum zeitgenössischen Leben. Er zeigt beispielsweise "leere Kaufhäuser", die auf einzelne - der abstrakten Kunst entlehnte - Farbflächen reduziert sind. Die Kauf­häuser als vergötterte Ikonen der Wirtschaftswunderjahre werden symbolisch ihrer kommerziellen Funktion enthoben, werden der 'reinen' Malerei einverleibt. Auf diese Weise verwandelt Schlotter Stilmittel der abstrakten Kunst in Elemente einer zeit­kritischen Bilderzählung.     

Schlotter betont die 'sprechende' Symbolik von Architektur, die seit jeher, ob in Emblembüchern oder in alltäglichen Redenwendungen, auf existentielle Grund­situationen bezogen wird. Diesen Effekt erreicht er vor allem durch die Komposition, speziell durch die Wahl des gezeigten Ausschnitts. So läßt er z.B. Türen das ganze Format füllen. Der Betrachter kann so Motiven, denen in der klassi­schen Hierarchie von Bildhandlungen höchstens eine Nebenrolle zukommt, auf keinen Fall entkommen, wird gezwungen, sich uneingeschränkt mit ihrer symbolischen Bedeutung auseinander­zusetzen. Die geschlossene Tür läßt an Heim und Schutz denken, gleichzeitig im Sinne der altbekannten Emblematikbücher an Sterben und Tod. Die Vanitas-Symbolik der geschlossenen Tür wird hierbei durch die perspektivische Unausweichlichkeit nachhal­tig unterstützt. Der Modus der Darstellung entspricht so vollständig dem symbolischen Gehalt.

Diesen Grundsatz verwirklicht Schlotter er auch bei seinen Zyklen, die Erzählungen von Arno Schmidt gewidmet sind. 1963 vollendete Schlotter die Folge zu Schmidts Satire zum Elysium der Dichter "Tina oder über die Unsterblichkeit". Erzählt wird in der Geschichte die Reise eines Schriftstellers zwischen den Welten. Von der alltäglichen Wirklichkeit läßt sich der Ich-Erzähler von der begehrenswerten Tina in die Unterwelt führen. Dort begegnet er einer Reihe von Dichtern, die nur darauf warten, vergessen zu werden, um endlich ins friedvolle Nichts eingehen zu können. Die Geschichte persifliert den Gedanken des ewigen Ruhms in der Kulturgeschichte und verspottet gleichzeitig den wissenschaftlichen Literaturbetrieb, der programmatisch dem Vergessen entgegen­arbeitet. Die Handlung spielt in einer halbdunklen Unterwelt, meist in der Nacht, es ereignen sich überraschende  Begegnungen zwischen Lebenden und Toten. Zentrum des Texts ist die spektakulär sinnesfreudige Tina, die zur Geliebten des Ich-Erzählers wird.

Zu all diesen Aspekten der Erzählung entwickelt Eberhard Schlotter in seinen "Tina"-Blättern Entsprechungen: Er zeigt halb verschattete Szenen, läßt durch Verunklärungen ein traumähnliches Verfließen des Blicks entstehen. Der Betrachter wird in die Rolle des verwunderten, sich durch die Dunkelheit des Jenseits vorarbeitenden Ich-Erzählers versetzt. Genauso teilt er mit dem literarischen "Ich" die Fixierung auf die sinnliche Tina, denn er entdeckt im Zyklus unterbrochen die nackte oder halbnackte Frau.      

Schlotters Zyklus zu Arno Schmidts "Schwarze Spiegel" entstand 1984. Schmidts Text aus dem Jahr 1951 ist eine düstere Endzeit­vision einer zerstörten Welt nach der atomaren Katastrophe. Der Ich-Erzähler berichtet von seinen einsamen Reisen durch eine menschenverlassene Welt, oft während der Nacht. Arno Schmidts Motto "Schwarze Spiegel" verweist auf das Medium der Litera­tur, auf die schwarzen Lettern, die die zerstörte Wirklichkeit widerspiegeln. Eberhard Schlotter nimmt die Metapher in der Folge wörtlich. Mit ihren 'abgedunkelten' Gründen wirken die Radierungen oft wie mattierte, düstere Spiegel, die die nächtlichen Szenen einer toten Welt reflektieren.

In den 1980er Jahren greift Eberhard Schlotter seine Gemälde-Serie zum Thema "Metzger" noch einmal auf. In den späten 1950er Jahren hatte er bereits Porträts einer zutiefst ungerechten Gesellschaft präsentiert, in der der Mensch als Schlächter des Menschen auftritt. So erscheint die "Frau des Metzgers" als ausgelaugte, abgearbeitete, verhärmte Gestalt in 'Sack und Asche'. Als vollkommener Nichtstuer wiederum tritt der "Bruder des Metzgers" auf, dessen "Hauptberuf" sich in der Bruderrolle erschöpft. Der leere Garderobenraum veranschaulicht unmißverständlich die innere Leere der Figur, die die Welt des "Metzgers" um ein menschliches Nichts bereichert.

Schlotters Metzger-Bilder aus den 1980er Jahren setzen solche Oppositionen schrill und rhetorisch zuge­spitzt fort. Hier thront der "Metzger" in einer 'eleganten', höchst dubiosen Halb­welt, die auch an verschlagene Politiker und Chefs denken läßt. Die "Freundin des Metzgers" erscheint als dickliche wohlfeile Hure, die sich die Zeit mit Schnaps und Zigaretten vertreibt. Die "Mutter" wiederum ist als einsame vergessene Kranke im Bett gezeigt, resiginiert, fast schon ein Leichnam. Die nächste Generation erweist sich ein­deutig als Produkt der familiären Ethik. Die "selbständige Tochter" hat als grelle Punkerin pro­grammatisch der Zukunft abgeschworen - darauf verweisen unmißverständlich die Wandinschriften. Der "selbständige Sohn" wiederum ist ein Fixer, der sich auf einem Abort die Kanüle in den Fuß jagt. Zu sehen ist der "Sohn" für den Betrachter in einem geborstenen Spiegel, der die Halluzinationen des Drogenabhängigen genauso symboli­siert wie seinen baldigen Tod.    

Unterm Strich: Ob architektonisches Stilleben, literarische "Illustration" oder Zerrbilder der Gesellschaft - Eberhard Schlotter konstruiert stets eine Bildwelt voll von Verwei­sen auf gesellschaftliche Paradoxien und existentielle Grundgrößen, inszeniert stets ein hoch­dramatisches Spiel mit dem Betrachter, der den Schlotterschen Perspektiven kaum zu entkommen vermag.                     

Kunsthalle Darmstadt, Steubenplatz 1, 64293 Darmstadt, Tel. 06151 891184

Öffnungszeiten bis zum 22. August 2011:  Di – Fr: 11 – 18 Uhr / Sa, So, Feiertage: 11 – 17 Uhr  
Eintritt: 5,00 € / 3,50 €

Website: www.kunsthalle-darmstadt.de

Am Sonntag (15. ) Mai lesen Jan Philipp Reemtsma, der am 12. Mai in Darmstadt den Schader-Preis entgegennimmt, und Bernd Rauschenbach aus dem Briefwechsel zwischen Eberhard Schlotter und Arno Schmidt in der Kunsthalle um 11. 30 Uhr

 

Wichtige Mitteilung
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