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Artikel

„Das Gefährlichste ist die Müdigkeit und Erschöpfung…“ Ein Besuch in Darmstadts Partnerstadt Uzhhorod

Freitag, 29.09.2023

Ein redaktioneller Bericht von Dr. Uwe Arndt. Die Verantwortung für die Richtigkeit der Inhalte trägt der Verfasser.

Die Gruppe beim Empfang mit Vertreter*innen der Stadtverwaltung

Übergabe von mitgebrachten Spenden für Waisenkinder im „Eulennest“

Der Krieg ist überall präsent: Schutzräume müssen gesichert sein.

Ende September hat eine Reisegruppe um den Darmstädter Gästeführer Uwe Arndt eine Rundreise durch Polen und die Slowakei durchgeführt. Mit auf dem Programm stand auch ein Besuch der ukrainischen Partnerstadt Darmstadts. Ein Reisebericht.

Die letzten dreihundert Meter legen wir zu Fuß zurück. Zwischen schmucken Einfamilienhäusern mit gepflegten Vorgärten geht die Straße auf die slowakisch-ukrainische Grenze zu. Wir haben unseren Reisebus zurückgelassen und nutzen den Grenzübergang für Fußgänger, 20km südlich von Ushgorod. Die Einreise mit dem Bus wäre wegen aufwändigerer Kontrollen nicht kalkulierbar gewesen. Nach einer halben Stunde und einer betont entspannten Kontrolle unserer Reisepässe sind wir in der Ukraine. Dort erwartet uns ein Mercedes Sprinter mit Fahrer und Viktoriya Syno, Vorsitzende des Städtepartnerschaftsvereins Ushgorod-Darmstadt.


Die Grenze befindet sich im wahrsten Sinne des Wortes im Niemandsland. Ein paar Kilometer schaukeln wir über eine kaum befestigte Trasse, deren Schlaglöcher der Fahrer meisterhaft umkurvt. In Ushgorod selbst fällt zunächst die starke Verkehrsbelastung ins Auge. Das ist auch eine Folge des Krieges, da die Einwohnerzahl der eigentlich 120.000 Einwohner zählenden Stadt um ca. 30.000 Flüchtlinge zugenommen hat.


Unser erster Termin führt uns zu einem Treffen mit Vertretern der Stadtverwaltung. Viktoriya Tarachonych ist Leiterin der Abteilung für internationale Beziehungen. Obwohl sie fließend deutsch spricht, begrüßt sie uns auf ukrainisch, da dies schließlich ein offizieller Termin sei. Sie lobt unseren Mut, dass wir in die Ukraine gekommen sind. Für uns ist dies ein wenig beklemmend, da es aus dem Mund einer Frau kommt, die seit 20 Monaten mit dem Krieg leben muss – jeden Tag. Von den insgesamt 24 Partnerstädten Ushgorods sei die Beziehung zu Darmstadt (und Griesheim) bei weitem die intensivste, deren legendäre Hilfsleistungen auf verschiedenen Ebenen bis heute ungebrochen anhalten.


Danach werden wir von Frau Ivetta Pryhara begrüßt, die in der Abteilung für die Förderung des Tourismus beschäftigt ist. Dies ist auf den ersten Blick etwas irritierend, doch muss die Rolle Ushgorods als Reiseziel für den Binnentourismus berücksichtigt werden. Als Stadt direkt an der Grenze zur Slowakei ist hier – bisher – noch keine Bombe gefallen. Für viele Ukrainer aus anderen Regionen ist dies daher eine Möglichkeit, eine Auszeit vom Krieg zu erleben. Aber es gibt noch einen anderen Aspekt: Der Blick nach vorn. Die Stadt möchte nicht im Stillstand verharren. So wurden inzwischen insgesamt 60 Mini-Skulpturen aufgestellt, die das Stadtbild beleben sollen. Darunter auch ein funktionierender Leuchtturm, der als „Kleinster Leuchtturm der Welt“ in das Guinness-Buch der Rekorde aufgenommen worden ist.


Weiter geht es in das benachbarte „Eulennest“. Diese, in einem ehemaligen Weinkeller untergekommene Einrichtung, kümmert sich um die Verteilung von Hilfsgütern an Flüchtlinge und deren Unterkunft in Ushgorod. Ortskräfte der UNHCR beraten Flüchtlinge. Im Gegensatz zu den Anfangswochen hat sich die Unterstützung der Flüchtlinge grundlegend geändert. Viktoriya Syno, die dieses Zentrum leitet, erklärt: „Am Anfang des Krieges sind ca. 2 Millionen Flüchtlinge durch Ushgorod gekommen, schätzungsweise 80.000-90.000 pro Tag. Diese brauchten unmittelbare Unterstützung mit dem Notwendigsten. Inzwischen sind die etwa 30.000 gebliebenen Flüchtlinge aber schon lange hier und benötigen eine andere Art von Unterstützung.“


So werden zum Beispiel Angebote für Jugendliche entwickelt, damit sie sich mit den einheimischen Jugendlichen vernetzen können. An Seniorenangebote ist gedacht, die Vereinsamung verhindern sollen. Neben der materiellen Versorgung ist vor allem eine psychologische Betreuung wichtig. Mit den Betroffenen werden turnusmäßig Gespräche geführt, um eventuell erforderliche Hilfe auszumachen. Im Mittepunkt der Unterstützung stehe nun die mittel- und langfristige Versorgung. Die finanzielle Unterstützung des Staates beträgt umgerechnet ca. 50€ pro Monat. „Die Flüchtlinge haben alles verloren. Sie haben ihre Arbeitsstellen und ihre Wohnungen verloren und können von der öffentlichen Unterstützung nicht leben. Scham spielt eine große Rolle. Wir versuchen alles, um die Hilfe so würdevoll wie möglich zu organisieren“, ergänzt Frau Syno.


Besonders die Vorbereitung auf den nächsten Winter bereitet den Organisatoren Sorgen. Im letzten Winter gab es nach 2 Stunden Strom jeweils eine Pause von 6 Stunden. Es gibt keinen Grund zu der Annahme, dass es im kommenden Winter anders sein sollte.


Während unseres Gesprächs im Vorraum schauen des öfteren Frauen herein. Viktoriya Syno: „Um 14:00 Uhr werden ‚Hygienepakete‘ verteilt. Gestern musste man sich dafür registrieren lassen und heute werden die Pakete ausgegeben.“


Das „Eulennest“ mit seinen 20 aktiven Unterstützenden betreut auch eine Reihe von Waisenhäusern. So wurde u.a. das Waisenhaus aus Dnipro nach Ushgorod evakuiert. In einem Telefongespräch vor der Reise hatte Frau Syno erwähnt, dass sie für diese gerade Bastel-, Mal- und Schreibutensilien brauchten. Die Reiseteilnehmer geben ihre mitgebrachten Pakete in der Sammelstelle ab.


Wie wichtig der Besuch Ushgorods ist, wird auch im Restaurant deutlich, in dem das Mittagessen eingenommen wird. Es ist nicht selbstverständlich, dass wieder Reisegruppen versorgt werden müssen. Der Restaurantbesitzer lässt es sich nicht nehmen, der Gruppe persönlich ein paar Lieder mit Akkordeonbegleitung darzubieten.


Danach gibt es einen Spaziergang durch das Zentrum der historischen Stadt, die gerade ihren 1130. Geburtstag gefeiert hat. Auch wenn hier kein Krieg herrscht, ist er allgegenwärtig. Großformatige Fotos zeigen die bisher ca. 80 Gefallenen aus Ushgorod. Die Gefallenen werden vom Stadthaus aus in einem Trauermarsch auf den 2km entfernten Friedhof überführt.


Ein Kamerateam der deutschen Redaktion des öffentlich-rechtlichen Fernsehens begleitet den Spaziergang und interviewt einige der Teilnehmenden. Für die deutsche Minderheit in den Vorkarpaten wird einmal pro Monat eine deutschsprachige Sendung produziert. Inzwischen ist der Besuch „normaler“ Gruppen eine solche Seltenheit geworden, dass es dem Fernsehen einen Bericht wert ist.


Die berühmte Lindenallee mit einer Länge von über 2000m ist die längste Europas, wie wir erfahren. Junge Soldaten flanieren mir ihren Freundinnen am Ufer der Usch, die der Stadt ihren Namen verlieh. Invaliden sitzen auf den Bänken, Kriegsverletzte halten sich hier zur Genesung und Rehabilitation auf. Auf der gegenüberliegenden Seite des Flusses werden wir auf das Theater aufmerksam gemacht. Hier spielen zur Zeit zwei Ensembles: das heimische und das aus dem Theater von Mariupol, das vor einigen Monaten prominentes Ziel eines der zahllosen Terrorattacken war.


„Das Gefährlichste ist die Müdigkeit und Erschöpfung, die um sich greift,“ sagt Viktoriya Syno. So wird nicht nur im Westen, sondern auch hier der Krieg zur Geduldsprobe. Die Frage sei einfach, wer den längeren Atem hat: Putin oder diejenigen, die diesen Krieg erdulden müssen, diejenigen, die den Opfern des Krieges helfen, ihnen Unterstützung leisten und sie in ihrer Lage nicht allein lassen.


An der Grenze ein bewegender und auch bedrückender Abschied. Beschämung, dass man nach einem Tag einfach wieder wegfahren kann, während nicht absehbar ist, wie lange dieser Krieg noch dauern wird. Im Reisebus herrscht lange Zeit Schweigen.

 

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