Atombunker unter dem Karolinenplatz

Darmstadt 1966

Die Stadt hat knapp 140.000 Einwohner, die Wirtschaft floriert. Der Kaufhof, 1953 eröffnet, plant seine Vergrößerung und muss 310 PKW-Stellplätze nachweisen. Das ehemalige Mollertheater soll Kongresshalle werden und benötigt ebenfalls etwa 300 Parkplätze. Friedens- und Karolinenplatz sind zugeparkt. Die Lösung zeichnet sich durch das Projekt des Architekturbüros Mengler ab. Jakob Mengler schlägt vor, unter dem Karolinenplatz eine eingeschossige Tiefgarage mit 247 Plätzen und unter dem Friedensplatz eine zweigeschossige mit 326 Plätzen zu bauen. Zusätzlich plant er zwischen Museum und Mollerbau einen autarken Zivilschutzbunker, der als Mehrzweckanlage in Friedenszeiten zusätzliche 58 Parkplätze bietet. 

Finanzierung

Überzeugend waren vermutlich sowohl Menglers Angebot, die Durchführung aller Projekte in (s)einer Hand zu vereinen, und sein Finanzierungsplan. Der sah vor, Darmstadts Geschäftswelt wie Kaufhof, Henschel & Ropertz, die Deutsche Bank, die Kaufhalle, das Schuhhaus Dielmann und das Bekleidungshaus Römer über Ablösebeiträge für nachzuweisende PKW-Stellplätze zu beteiligen. Außerdem kalkulierte Mengler Bundesmittel zur Finanzierung des Zivilschutzbunkers ein. 

Bundesprogramm

In Folge der Kuba-Krise 1962 und dem steigenden Bewusstsein eines drohenden Atomkrieges zwischen den Hauptakteuren des Kalten Krieges USA und UdSSR wurde in Deutschland bis in die 1980er Jahre der Bau von öffentlichen Atombunkern für die Zivilbevölkerung - meist in Form von Mehrzweckanlagen - vorangetrieben. 

Großbaustelle Innenstadt

Der Bau der Tiefgaragen inklusive des Atomschutzbunkers verwandelte Darmstadts Innenstadt in eine Großbaustelle mit einer Sohlentiefe von mehr als fünf Metern. Bäume wurden gefällt, Teile der Schlossmauer abgetragen und für den Wiederaufbau nummeriert, Teile der Stadtmauer niedergerissen, das Reiterstandbild Großherzog Ludwigs IV. abtransportiert und ausgelagert. Die Baugrube reichte vom Portikus des Mollerbaus, zum Eingang des Herrngartens bis zum Museumseingang. Die Fundamente des Weißen Turms und der Kaufhäuser Henschel & Ropertz und Salamander mussten mit Betoninjektionen gesichert werden. 

Atombunker unter dem Karolinenplatz

Die 1968 in Betrieb genommene Bunkeranlage befindet sich in dem Teil der Tiefgarage, die unter dem Karolinenplatz zwischen dem Haus der Geschichte und dem Hessischen Landesmuseum liegt.  Im Ernstfall hätten in dem 2,7 Meter hohen Mehrzweckraum 2000 Menschen Platz finden sollen, mutmaßlich geschützt durch 1,1 Meter starke Betonwände. 

Zugänge

Vom Karolinenplatz aus gibt es vier Zugänge in die Bunkeranlage. Zwei weitere Zugänge führen von der Tiefgarage unter dem Karolinenplatz in den Mehrzweckraum. Im Ernstfall wären diese Zugänge durch Druckschiebetore hermetisch geschlossen worden. Schleusen- und Bunkerwarte hätten die Zugänge geregelt.

Plan

Der Plan zeigt die vorgesehene Nutzung des Atombunkers: im nördlichen Teil (links) befinden sich die Versorgungseinrichtungen wie Stromaggregate, Filteranlagen sowie Pumpen. In dem vierzig mal sechzig Quadratmeter großen Mehrzweckraum, in Friedenszeiten als Tiefgarage genutzt, sollten im Ernstfall 2000 Menschen Platz finden.

Zum vollständigen Plan

Zwei Stromaggregate

hätten im Ernstfall sechs Wochen lang Energie liefern sollen. 

Dreistock-Betten und Bänke

600 Schlafplätze hätten den 2000 Schutzsuchenden zur Verfügung gestanden. Vorgesehen war ein 8-stündiger Schlaf im 3-Schicht Rhythmus. 

Atombunker unter dem Karolinenplatz
Atombunker unter dem Karolinenplatz, Quelle: Nikolaus Heiss

Überreste

Ab 2007 gab der Bund keine Zuschüsse mehr, der Bunker wurde aufgegeben. Die Anlage wurde seitdem lediglich verwaltet und in Instand gehalten. 

Überreste I

Bunte Plastikbecher waren noch bis 2014 in den Regalen gestapelt.

Kunst

In einem Schleusenraum ist ein schwarzer, fünfeckiger Stern des französischen Künstlers Georges Rousse (1947) zu sehen. Rousse ist Fotograf, Maler und Installationskünstler, der verlassene oder kurz vor dem Abriss stehende Gebäude in Visionen aus Farbe und Form verwandelt. 

Georges Rousse bei Wikipedia

Besichtigung

Der Bereich des Atombunkers, in dem sich noch immer die technischen Einrichtungen befinden, ist in der Regel nicht zugänglich. Am Tag des offenen Denkmals gab es 2024 die seltene Gelegenheit, den Atombunker zu besichtigen.

Mehr zum Tag des offenen Denkmals

Atombunker unter der Grafenstraße
Atombunker unter der Grafenstraße, 2020, Quelle: Nikolaus Heiss

Noch ein Atombunker

Ein weiterer, ähnlicher Atombunker wurde zusammen mit dem Parkhaus in der Grafenstraße erbaut. Auch er ist inzwischen aufgelassen. 

Jakob Wilhelm Mengler (1915-2001)

In den 1960-70 er Jahre war der Architekt, Bauunternehmer, Investor und Spezialist für multifunktionale Geschäfts- und Verwaltungsgebäude an fast allen großen Darmstädter Bauten beteiligt - so auch an den multifunktionalen Tiefgaragen in der Grafenstraße und unter dem Friedensplatz / Karolinenplatz sowie am Luisencenter. 

Friedensplatz

Von der Reitbahn zum Exerzier- und Paradeplatz und seit 1949 zum Friedensplatz - die Geschichte des Platzes ist facettenreich.

Cover der Broschüre "Luftschutz in Darmstadt"

Luftschutz in Darmstadt

Eine 2024 erschienene Broschüre informiert über unterschiedliche Aspekte des Luftschutzes und stellt sechzehn Darmstädter Beispiele vor - darunter auch den Atomschutzbunker unter dem Karolinenplatz.