Am 4. November 2011 enttarne sich das Kerntrio des sogenannten „Nationalsozialistischen Untergrund“ (NSU) durch einen misslungenen Banküberfall selbst. Diese Selbstenttarnung führte dazu, dass die rechtsterroristischen Mordserie des NSU, der zehn Menschen ermordet hatte, öffentlich wurde.
Zehn Jahre später befasste sich die erste Demokratiekonferenz 2021 der Partnerschaft für Demokratie (PfD) Darmstadt anlässlich dieses Jahrestags mit dem Thema. Der Fokus lag dabei nicht in erster Linie auf dem NSU und noch immer ungeklärten Fragen, sondern vor allem auf den aktuellen Gefahren durch rechten Terror und seinen Folgen. Die Entwicklungen insbesondere in Hessen vor und nach dem NSU wurden in den Blick genommen. Insbesondere der antisemitische Anschlag in Halle, der Mord am Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke und der rassistische Anschlag in Hanau haben in den vergangenen Jahren auf schreckliche Weise die große Relevanz des Themas für Politik, Verwaltung und Gesellschaft aufgezeigt.
Knapp 35 Personen nahmen an der Veranstaltung im Darmstädter Justus-Liebig-Haus teil. Es war die erste Präsenzveranstaltung der Darmstädter Demokratiereihe seit dem Beginn der Corona-Pandemie im Frühjahr 2020. Unter den Teilnehmenden waren Aktive aus der Zivilgesellschaft, Mitarbeiter*innen aus der städtischen Verwaltung sowie Berufstätige aus der Kinder- und Jugendarbeit.
Die Demokratiekonferenz wurde von Darmstadts Oberbürgermeister Jochen Partsch eröffnet. In seinem Videogrußwort betonte der Oberbürgermeister die Relevanz der kritischen Auseinandersetzung mit rechten Ideologien und Strukturen. Er wies auf neue Entwicklungen in der rechten Szene, insbesondere vor dem Hintergrund der Digitalisierung und auch durch die Corona-Pandemie hin. Rechtes und antisemitisches Verschwörungsdenken reiche weit in die Mitte der Gesellschaft hinein und die rechten Kräfte hätten neues Rekrutierungspotential insbesondere unter jungen Menschen hinzugewonnen, warnte Oberbürgermeister Partsch. Zu Beginn seiner Rede verlas der Oberbürgermeister die Namen aller beim Terroranschlag in Hanau am 19. Februar 2020 aus rassistischen Motiven ermordeten Menschen.
Der Journalist Martín Steinhagen leitete mit einem Inputvortrag in das Thema der Veranstaltung ein. Basierend auf seinem Buch „Rechter Terror. Der Mord an Walter Lübcke und die Strategie der Gewalt“ gab er einen ersten Überblick über rechtsterroristische Gruppierungen und Täter*innen sowie deren zugrundeliegenden Organisationsstrukturen und Ideologien. Die Taktiken der Täter*innen wandelten sich seit jeher, und hätten doch erstaunliche Konstanten. Sie zu kennen helfen, die Gefahren von heute zu verstehen. Zudem dürfe man nicht verkennen, wie viele Bestandteile der Ideologie hinter den Taten bis in die sogenannte gesellschaftliche Mitte reichen würden, erklärte Steinhagen.
Das Thema wurde in zwei parallel stattfindenden Workshops vertieft: In einem Workshop gaben die Politikwissenschaftler*innen Sascha Schmidt und Yvonne Weyrauch als Autor*innen einer 2022 erscheinenden Buchpublikation zu rechtem Terror in Hessen einen Überblick über dessen lange und oftmals unbekannte Geschichte. So sind Gruppierungen wie der „Technische Dienst“ oder die „Hepp-Kexel-Gruppe“ und ihre Taten kaum im kollektiven Gedächtnis verankert. Die Gefahr, die von rechtem Terror ausgehe, wurde dementsprechend über viele Jahre hinweg nicht beachtet und verdrängt. Auch rechte Gewalttaten und Übergriffe in Darmstadt wurden von den Referent*innen und Buchautor*innen Weyrauch und Schmidt thematisiert.
Im zweiten Workshop berichteten Aktive aus der Initiative 19. Februar von dem rassistischen Anschlag in Hanau am 19. Februar 2020, seinen Folgen für Betroffene und ihren Kampf um Aufklärung. Piter Minnemann, selbst Überlebender des Anschlags, berichtete eindrücklich von seinen Erfahrungen in der Tatnacht und der darauffolgenden Zeit. Er zeigte sich bestürzt über Fehler der Polizei während und nach dem Anschlag und enttäuscht über die fehlende Unterstützung von Behördenseite im Nachhinein. Gemeinsam mit der Initiative 19. Februar setzt er sich dafür ein, dass offene Fragen zum rechten Anschlag in Hanau endlich befriedigend beantwortet werden und Betroffene und Hinterbliebene angemessen unterstützt werden.
Ein dritter geplanter Workshop der Bildungsinitiative Ferhat Unvar aus Hanau musste krankheitsbedingt leider ausfallen.
Zum Abschluss des Fachtags diskutierten alle Referent*innen zum Abschluss in einer gemeinsamen Podiumsdiskussion, die von der Soziologin Sarah Hohmann moderiert wurde. Eine wichtige Forderung, die in der Diskussion aufkam, besteht darin, dass sich nicht nur direkt Betroffene von rechtem Terror mit diesem auseinandersetzen sollten, sondern dies alle Menschen in der Gesellschaft angehe. Von Teilnehmenden, die mit Kindern und Jugendlichen arbeiten, wurde angemerkt, dass im Politikunterricht in den Schulen die Themen Antirassismus, extreme Rechte und politische Bildung im Allgemeinen zu kurz komme – auch im Sinne einer „Erziehung zur Mündigkeit“ (Adorno) und zu selbstständigem und kritischem staatsbürgerschaftlichen Denken und Handeln. Hierfür bräuchte es mehr Zeit im Lehrplan, um rechtem Terror seinen Nährboden zu entziehen.