Die meisten Leute kennen Holzkohle vom Grillen, nur ganz Wenige kämen auf die Idee, die (unverbrannte) Kohle unter die Blumenerde zu mischen. Doch das ist (fast) genau das, was das Grünflächenamt in Kooperation mit seinen Partnern nun versucht, um die Vitalität und Resilienz der Stadtbäume und Grünflächen durch eine Aufwertung des Bodens zu verbessern.
Pflanzenkohle
Pflanzen - was?
Die Kohle, die der EAD bei der Pyrolyse von städtischem Grünschnitt und privaten Kompostresten erhält, ist wahre “Pflanzenkohle”, denn der gesamte Kohlenstoff stammt aus Pflanzen. Dieser Kohlenstoff wäre bei thermischem Recycling der Biomasse als CO2 in die Atmosphäre abgegeben worden. Hier nicht; hier wird der Kohlenstoff dem Stoffkreislauf entzogen. Pflanzenkohle ist also Klimakohle.
Durch ihre poröse Struktur bietet die Pflanzenkohle gleich mehrere Möglichkeiten, den Herausforderungen der Klimakrise entgegenzutreten. So hat die Kohle ein großes Potential zur Adsorption (also der Bindung an die Oberfläche) von Nährstoffen. In einem sogenannten “Aufladungsprozess” kann die Kohle beladen werden, um die erhaltenen Nährstoffe später wieder an die Pflanzen abzugeben. Durch den gleichen Prozess (Ad- und Desorption) kann die Pflanzenkohle die Wasserspeicherkapazität des Bodens erhöhen, indem Sie zusätzliches Regenwasser bindet, bevor dieses versickert.
Das klingt nicht nur nach Zukunftstechnologie, das ist welche! Und da die Zukunft bekannterweise nicht ganz billig ist, wird das Projekt vom Bundesinstitut für Bau-, Stadt-, und Raumforschung im Rahmen des Programms zur "Anpassung urbaner Räume an den Klimawandel" gefördert.

Pflanzenkohle im Einsatz
Noch wird die Pflanzenkohle nicht bei jeder Pflanzung eines Jungbaums etc. beigemischt. Zunächst wird noch untersucht, welches Mischungsverhältnis die besten Resultate erzielt und wie groß der Effekt ist. Wir befinden uns also noch in der Erprobungsphase.
Bei Stadtbäumen

Das Grünflächenamt untersucht an 23 Baumstandorten im Stadtgebiet Darmstadts entlang verschiedener Straßen (z.B., Flotowstr., Jahnstr., Reuterallee), ob und wie mit einer Beimischung von Pflanzenkohle bei der Jungbaumpflanzung die Vitalität von Stadtbäumen gesteigert werden kann. 12 Baumgruben wurden mit einer Mischung aus Baumsubstrat, Pflanzenkohle und Kompost verfüllt; weitere 11 Baumgruben als Referenz wie bisher üblich mit reinem Darmstädter Baumsubstrat. Die Pflanzung der Bäume erfolgte Ende Februar 2024. Ab August wird die Wasserverfügbarkeit im Boden zusätzlich mit Sensoren überwacht.
Bei den ausgewählten Stellen handelt es sich um Extremstandorte, die aufgrund der geringen Größe der Baumgrube (s. Bild), der eingeschränkten Wasserverfügbarkeit oder der großen Hitze für die Pflanzung von Bäumen nicht mehr geeignet scheinen.
Auf Rasenflächen

Ab Herbst 2024 kommen noch Versuche mit intensiv genutzten Rasenflächen hinzu. So sollen eine Fläche im Ingelheimer Garten und der Bolzplatz am Fiedlersee mit Pflanzenkohle aufgewertet werden.
Durch die Pflanzenkohle soll die Austrocknung des Rasens im Sommer hinausgezögert oder verhindert werden.
Bei Baumrigolen nach dem Stockholmer Konzept
Baumrigolen sind Systeme zur unterirdischen Regenwasserrückhaltung, die so zuerst in Stockholm erprobt wurden. Dem Baum wird dabei Regenwasser, das nicht durch die Versiegelung des Bodens dringen kann, über spezielle Drainagen/Leitungen/Kanäle unterirdisch zugeleitet und in der Nähe des Baums im Erdreich gespeichert, ohne die Wurzeln des Baums Staunässe auszusetzen. Die Pflanzenkohle dient hier zusätzlich zur Funktion als Wasserspeicher als Aktivkohlefilter, um Schadstoffe durch Adsorption aus dem zugeleiteten Wasser zu filtern.
Baumrigolen verbessern so die Wasserzufuhr der Stadtbäume und können dabei helfen, die Auswirkungen von Starkregenereignissen durch Aufnahme des Regenwassers abzumildern. Gleichzeitig legen sie so einen Vorrat für trockenere Zeiten an und helfen Darmstadt zur Schwammstadt zu werden. Ganz schön smart. In Darmstadt soll dieses System an vier Standorten erprobt werden.
Die Darmstädter Kohlenmine
Auf eine große bergmännische Tradition kann unsere Stadt nicht zurückblicken und dennoch wird hier wertvolle Kohle gewonnen.
Doch wie soll das gehen, Kohle wächst schließlich nicht auf Bäumen? Von wegen! Die Darmstädter Kohle ist nämlich rein pflanzlich. Grünschnitt (Bild links) und Kompostreste werden in der Karbonisierungsanlage (Bild Mitte) des EAD durch Pyrolyse zu Pflanzenkohle (Bild rechts).
Bei der Pyrolyse wird die Biomasse unter Sauerstoffabschluss auf 800-1.000°C erhitzt. Bei solchen Temperaturen zerfallen die Moleküle, aus denen das Pflanzenmaterial aufgebaut ist. Ein Teil bildet flüchtige Gase und Wasser(-dampf), die das System verlassen. Der Kohlenstoff würde bei Anwesenheit von Sauerstoff komplett zu Kohlendioxid (CO2) oxidiert und damit als Treibhausgas unser Klima belasten. Nicht so bei der Pyrolyse. Hier bleiben über 50% des Kohlenstoffs mangels Reaktionspartner weiter Kohlenstoff. Somit wird dieser Teil des Kohlenstoffs aus dem Stoffkreislauf genommen und wandert dort hin, wo er wahrscheinlich einmal herkam: unter die Erde.
Da bei der thermischen Pyrolyse die Struktur des Ausgangsmaterials teilweise erhalten bleibt, besitzt die Pflanzenkohle eine sehr große Oberfläche vom ca. 300 m2 pro Gramm.
Diese enorme Oberfläche wird dann im nächsten Schritt genutzt um die Pflanzenkohle mit Nährstoffen "aufzuladen". Dazu wird die Pflanzenkohle mit Grünschnittkompost vermischt (s. oben). Die Pflanzenkohle wird solange mit Kompost versetzt, bis sich ein Mischungsverhältnis von 1:1 eingestellt hat. Für die Pflanzen wichtige Nährstoffe (z.B. Huminsäuren, Vitamine, Spurenelemente, Kalium, Phosphor und Stickstoff) lagern sich während dieses Prozesses an die Pflanzenkohle an. Wird mit aufgeladener Pflanzenkohle angereicherte Erde dann in Land-, Forstwirtschaft oder Gartenbau eingesetzt, können sich die Pflanzen an den Vorräten der Kohle bedienen.
Bereits im Boden vorhandene Schadstoffe wie z.B. Schwermetalle können auf der Oberfläche der Kohle gebunden werden und so nicht mehr in das Grundwasser und die Pflanzen gelangen.
Brainpower aus Geisenheim
Unser Kooperationspartner für die wissenschaftliche Begleitung des Projekts ist die Hochschule Geisenheim University.
Ziel ist es, die Auswirkungen verschiedener Substrate (Böden) auf das Baumwachstum detailliert zu analysieren. Um dies zu erreichen, werden verschiedene Untersuchungen durchgeführt. Dazu gehört die regelmäßige Untersuchung der Nährstoffversorgung der Bäume. Neben Blattproben werden Bodenwasserproben aus drei unterschiedlichen Tiefen (30, 60 und 90 cm) genommen. Über fest im Boden verbaute Sensoren wird kontinuierlich die Bodenfeuchte und -temperatur gemessen, um ein umfassendes Bild der Wachstumsbedingungen zu erhalten.
Man findet die Versuchsbäume über die ganze Stadt verteilt, da auch der Standort eines Baums erheblichen Einfluss auf dessen Wachstum hat. Durch einen Klick auf den Kartenausschnitt kommen Sie zu einer externen Karte mit den Bäumen des Projekts. Ein Klick auf den jeweiligen Baum (symbolisiert durch die grünen Markierungsnadeln) zeigt Details wie Baumart, Standort, Pflanzjahr und Typ des Substrats; zudem sehen Sie ein Bild des Baums.
Um das Wachstum der Bäume genau bestimmen zu können, werden mittels LIDAR (light detection and ranging) Scanner hochpräzise digitale 3D-Modelle der Bäume erstellt (so wie die Gesichtserkennung am Smartphone) und ausgewertet. Sehr smart.
Von besonderem Interesse ist für die Experten um Prof. Ardissone-Krauss, wie die verschiedenen Bodenbestandteile das Wachstum der unterschiedlichen Baumarten beeinflussen. Diese Analysen liefern wertvolle Erkenntnisse für die nachhaltige Baumpflege und Stadtbegrünung - und da haben wir alle etwas davon.
Darmstädter Pflanzenkohle - Video
Genug gelesen? Ein Video des EAD stellt die Pyrolyseanlage des EAD vor und lässt Mitglieder der Zivilgesellschaft zu Wort kommen.
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Häufig gestellte Fragen (FAQ)
Das Bundesprogramm „Anpassung urbaner Räume an den Klimawandel“ fördert investive Projekte mit hoher Wirksamkeit für Klimaschutz (CO2-Minderung) und Klimaanpassung, mit hoher fachlicher Qualität, mit überdurchschnittlichem Investitionsvolumen oder mit hohem Innovationspotenzial. Dafür hat das Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR) zur Förderung des Projektes eine Zuwendung aus Bundesmitteln in Höhe von 1 Mio. Euro zur Verfügung gestellt. Förderprojekte müssen von den betreffenden Kommunen mitfinanziert werden.
Nähere Auskünfte bietet die Homepage des EAD zum Thema.
Nein. Beim Verbrennen der Kohle gehen die Strukturen der Holzkohle kaputt, die die Pflanzenkohle so wertvoll machen. Die Kapazität zur Wasser- und Nährstoffspeicherung geht fast vollständig verloren. Zudem finden sich in der Asche der Grillkohle manche Schlacken und Salze, die z.B. den pH-Wert des Bodens negativ beeinflussen können.