
Bei Kanalerneuerungen rund um die Stadtkirche wurden Reste des ältesten Darmstädter Friedhofs und der in diesem Bereich vorhandenen Bebauung untersucht. Da bekannt war, dass sich in dem ehemals ummauerten Kirchhof Grabstätten befanden, wurden die Kanalgrabungen von Anfang an archäologisch begleitet. Die Ausgrabungsergebnisse und eine Auswahl der Funde präsentierte Stadtrat Michael Kolmer am heutigen Freitag (4.) im Rahmen eines Pressetermins an der Stadtkirche.
Im Zuge der Kanalarbeiten, die 2023 begannen, ließ die e-netz Südhessen AG Schächte und Baugruben (Gas und Wasser 8 bis12 Meter, Strom 0,8 Meter) ausheben. Es war zu vermuten, dass dabei Spuren der frühen Besiedlung Darmstadts und Reste des ältesten Darmstädter Friedhofes, der um die Stadtkirche angelegt war, zutage gefördert werden.
Dementsprechend wurden die anstehenden Arbeiten in Abstimmung zwischen der Unteren Denkmalschutzbehörde und der Außenstelle Darmstadt der hessenArchäologie im Landesamt für Denkmalpflege Hessen durchgeführt und die Firma SPAU GmbH (Münzenberg) mit den begleitenden archäologischen Forschungsarbeiten von der e-netz Südhessen beauftragt.
Darmstadts ältester Friedhof lag südlich der Stadtkirche, im Bereich der heutigen Piazza. Bis zum Ende des 16. Jahrhunderts, in Einzelfällen noch bis ins 18. Jahrhundert wurde der Kirchhof als Friedhof genutzt und erst gegen Ende des 18. Jahrhunderts eingeebnet. Die ihn umgebende Kirchhofsmauer wurde im Jahr 1799 allem Anschein nach entfernt. Bis zur Reformation war es Brauch, Tote „ad sanctos“, also in die Nähe von Heiligen zu bestatten. Erst im 16. Jahrhundert wurde auch aus hygienischen Gründen begonnen, Friedhöfe außerhalb der Stadtmauern anzulegen. In Darmstadt wurden ab dem späten 16. Jahrhundert Tote auf dem Kapellplatz, ab Anfang des 19. Jahrhundert auf dem Alten und ab dem frühen 20. Jahrhundert auch auf dem Waldfriedhof beigesetzt.
Die Kanalarbeiten um die Stadtkirche dauerten von Mai 2023 bis Mai 2024; sie wurden mit einem Minibagger durchgeführt und durch Handgrabungen ergänzt. Die Arbeit umfasste acht Suchschächte, zwölf Kanäle und sechs Baugruben.
Gefunden wurden Knochen bzw. Knochenansammlungen ohne anatomische Zusammenhänge, aber auch im ursprünglichen Grabzusammenhang liegende Bestattungen. Dies ist ein typisches Bild für einen städtischen Friedhof, da es aufgrund des begrenzten Platzes immer wieder zur Öffnung älterer Gräber kam, deren Knochen entweder mit dem Aushub wieder eingefüllt oder aufgesammelt und in ein sogenanntes Beinhaus verbracht wurden. Die dokumentierten Bestattungen umfassten Männer, Frauen und Kinder, die zum Teil in aufwändigen Särgen bestattet wurden, deren Holzspuren, aber auch die verzierten Griffe zum Teil noch erfasst werden konnten. Südwestlich vor der Kirche fand sich eine Schicht aus Knochen, bei der es sich um bestattete Knochenreste des Beinhauses nach dessen Auflösung bei der Friedhofsaufgabe handeln könnte.
Verschiedene Mauerabschnitte fanden sich ebenfalls in den Kanalgräben, die einerseits zur ehemaligen Kirchhofsmauer, andererseits auch zu älterer Bebauung gehören, die sich aufgrund des Ausschnitts der Untersuchung nicht weiter zuweisen lassen. Außerdem fanden sich am Rand des Platzes Reste der Bebauung im Bereich der ehemaligen Feuerwache, die in der Brandnacht Darmstadts 1944 zerstört worden ist.
Die nachgewiesenen Schichtreste reichen bis ins 15. Jahrhundert zurück, wobei die Eingriffe durch die Kanalgräben nicht bis zum anstehenden Boden reichten, so dass die ältesten Nutzungsschichten in diesem Bereich nicht erfasst wurden. Einzelne Keramikfunde lassen sich jedoch bis ins 12. Jahrhundert und damit an die Anfänge von Darmstadt zurückdatieren.
Hervorzuheben unter den Funden sind zwei Schieferplatten, die ursprünglich als Dachschiefer verwendet wurden. Sie zeigen eingeritzte Inschriften aus dem Jahr 1704 und in Zusammenarbeit mit der Stadtarchiv Darmstadt konnte ermittelt werden, dass sie von einem bei der Sanierung der Stadtkirche beschäftigten Handwerker angefertigt wurden.
„Die Untersuchung zeigt, wie viele historische Spuren der Geschichte noch im Darmstädter Boden erhalten sind. Diese Spuren gilt es auch in Zukunft zu dokumentieren, um die Quellen der Stadtgeschichte zu sichern und die weitere Entwicklung der Stadt zu ermöglichen. Hierzu arbeiten die Stadt und hessenARCHÄOLOGIE eng mit den Vorhabenträgern und Fachfirmen zusammen, um die Maßnahmen möglichst optimal umzusetzen“, so Stadtrat Kolmer.