Im Oktober 2003 wurden bei Aushubarbeiten für einen Neubau im Städtischen Klinikum die Überreste der Liberalen Synagoge entdeckt. Das in dreijähriger Bauzeit nach einem Entwurf von Edmund Köhler errichtete und am 24. Februar 1876 eingeweihte Gotteshaus wurde in der Pogromnacht vom 9. auf den 10. November 1938 durch die Nationalsozialisten zerstört.
Die hohe geschichtsträchtige Bedeutung dieses Fundes löste eine intensive Debatte über den Umgang der Stadt mit ihrer eigenen NS – Vergangenheit aus. An einem vom damaligen Oberbürgermeister Peter Benz initiierten ‚Runden Tisch’ setzten sich Vertreter der Jüdischen Gemeinde, der Stadt Darmstadt , des Klinikums sowie Architekten und Denkmalschützer zusammen und kamen in einem komplexen Prozess zu dem Ergebnis, dass um die Fundamente ein würdige öffentliche Stätte der Erinnerung entstehen soll, ohne die Funktionalität des zu errichtenden Krankenhausbaus zu beeinträchtigen. Der Magistrat der Wissenschaftsstadt Darmstadt hat am 13.04.2004 beschlossen, an der Fundstelle eine Gedenkstätte zu errichten – als einen Ort der Erinnerung, der Stadtgeschichte eindringlich erfahrbar macht. Das Konzept beinhaltet die künstlerisch - didaktische Ausgestaltung des Ortes durch die Installationskünstler Ritula Fränkel und Nicholas Morris. Während des rund zweieinhalb Jahre andauernden Baustopps wurden die aufgefundenen Teilfundamente freigelegt und der Krankenhausbau umgeplant und ein Ort der Erinnerung baulich und inhaltlich konzipiert. Die Eröffnung sollte im Rahmen der Feierlichkeiten zum 20-jährigen Bestehen der Neuen Synagoge im November 2008 erfolgen. Der Termin konnte aber wegen erheblicher Verzögerungen beim Bau des Klinikgebäudes nicht realisiert werden.
In Abstimmung mit dem Landesamt für Denkmalpflege wurden die Funde als Kulturdenkmal im Sinne des § 2 Abs. 1 Hessisches Denkmalschutzgesetz eingestuft, an dessen Erhaltung aus bau-, gesellschafts- und politikgeschichtlichen Gründen ein öffentliches Interesse besteht. Die erhaltenen Fundamente entsprechen etwa einem Sechstel der ursprünglichen Grundfläche der Synagoge. In der Nähe der ehemaligen Thoranische ist ein Teil des eingebrochenen Erdgeschossfußbodens mit schwarzen und weißen Keramikfliesen zu erkennen, überdeckt von herabgestürzten, verbrannten Holz- und Schieferplatten. Die Mauerreste wurden in aufwändiger Handarbeit durch den Restaurator Steyer gereinigt und konserviert. Zum Schutz während der Bauarbeiten für den Klinikneubau wurde die Fundstelle komplett mit Sand verfüllt, mit einer Betondecke abgeschlossen und anschließend erneut freigelegt. Die Fundstätte wird nunmehr durch einen geschlossenen Kubus von ca. 15 x 15 m Größe vor der Witterung geschützt. Von außen erscheint die Gedenkstätte als natursteinverkleidete Raumskulptur. Eine anspruchsvolle Konstruktion, die das tonnenschwere Gewicht des über der Gedenkstätte lastenden Krankenhausgebäudes unsichtbar umleitet, ermöglichte es, den Innenraum stützenfrei zu überspannen.
Am 9. November 2009 wurde der Erinnerungsort Liberale Synagoge seiner Bestimmung übergeben.
Entstanden ist ein würdiger und in seiner Art einzigartiger Ort, der den Namen Erinnerungsort verdient. Kein anderes Zeitdokument in unserer Stadt verfügt über eine vergleichbare Eindringlichkeit:
Bereits beim Betreten des Innenhofs weisen die Menora und einzelne Mauerfragmente auf den Erinnerungsort hin. Das Foto auf der Glasfassade zeigt ein Foto der Synagoge (ca. 1919) mit Blick vom damaligen Klinikgarten. Im Inneren des Raumes tritt die Architektur zurück, die Aufmerksamkeit richtet sich auf die beleuchteten Fundamente des ehemaligen Thoraschreins und eines Turmes. In einer räumlichen Inszenierung eröffnen die – multimedial auf verschiedene Zugangsmöglichkeiten ausgerichteten - Stationen des künstlerisch-didaktischen Parcours den Blick auf das, was nicht mehr sichtbar ist, auf das Leben der jüdischen Darmstädter, deren bedeutendes Gotteshaus an dieser stand. Das Verstehen und Beurteilen dessen, was hier geschehen ist, ist Ergebnis einer Spurensuche mit Steinen, Bildern und Worten.
Architektur: PFP Architekten Hamburg
künstlerisch-didaktisches Konzept: Ritula Fränkel und Nicholas Morris Darmstadt
technische Umsetzung: media|machine und arts+media Mainz
Baukosten 1.800.000 Euro
Ausstattung 285.000 Euro
Spenden 60.000 Euro
Das Audioterminal im Erinnerungsort Liberale Synagoge ist neuerdings um drei weitere Zeitzeugenberichte ergänzt worden.
Die ehemaligen Darmstädter Helga Keller, Lea Itan und Max Neu sprechen über ihr Leben vor der Verfolgung der Juden in Darmstadt, den Schikanen während des Nationalsozialismus und den Ereignissen nach der Pogromnacht.
Die Interviews mit Helga Keller, Lea Itan und Max neu stammen vom Darmstädter Filmemacher Christian Gropper. Die Erweiterung des Terminals wurde ermöglicht mit Unterstützung des Darmstädter Förderkreis Kultur e.V., der Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit, der HEAG Kulturfreunde gGmbH und der Jubiläumsstiftung der Sparkasse Darmstadt.